Innen Stadt Außen: OLAFUR ELIASSION im Martin-Gropius Bau
Treibholz am Molkenmarkt, eine ins Gebüsch führende Straßenmarkierung am Max-Reinhardt-Park, ein Fahrrad mit Spiegeln statt Speichen am Ernst-Reuter-Platz. Mittlerweile haben es (fast) alle mitbekommen. Olafur Eliasson „bespielt“, wie man so schön sagt, Berlin. Auch wenn viele dieses meist im musealen Kontext und von Kunsthistorikern geschundene Behelfsverb schon nicht mehr hören können, irgendwie passt es gerade hier ganz besonders. Denn viele haben sich schon auf den Weg gemacht, die Kunstwerke aufzuspüren, die der dänisch-isländische Künstler im Vorlauf seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland mehr oder minder unauffällig in der Stadt verteilt hat.
Wurde ja auch mal Zeit, sagen die einen. Muss das sein?, fragen die anderen. Schließlich ist Eliasson, der seit 1994 in Berlin lebt und sich ebendort ein wahnwitziges Großststudio eingerichtet hat, in dem um die 35 Handwerker, Techniker, Kunsthistoriker und Architekten seine weltumspannenden Projekte umsetzen, seit Jahren in aller Munde. Spätestens seit 2003, als er in der Londoner Tate Gallery unter dem Titel „The Weather Project“ eine künstliche Sonne in der gigantischen Turbinenhalle installierte und über 2 Millionen Besucher anlockte, gelten seine Projekte als Publikumsmagneten. Wer 2008 New York einen Besuch abstattete, war nirgends in der Stadt vor ihm sicher: mit einer großen Übersichtsschau im Museum of Modern Art, weiteren Werke im MoMa-Ableger PS1 und mit seinem von der Fachpresse stark kritisierten Projekt „NY Waterfalls“ huldigten die New Yorker dem umtriebigen Europäer.
So geht der kritische Besucher mit der Frage im Hinterkopf in den Martin-Gropius Bau: Was hat Eliasson in Berlin anders gemacht? Nun. Vor allem zwei Faktoren spielen für die Beantwortung eine Rolle: Überraschung und Understatement. Denn man wird bereits überrascht, bevor man sich die Rampe zum Eingangsportal hinaufbegibt. Aus einem Fenster wabert weißer Dampf aus einer metallenen Apparatur auf die Besucher hinunter. Gehört das bereits zur Ausstellung? Oder handelt es sich nur um die neue Dunstabzugshaube des Museumsrestaurants?
Und überrascht ist man auch davon, wie angenehm unprätentios die Kunstwerke in den größtenteils zurückhaltend weißen Räumen des ehemaligen Kunstgewerbemuseums präsentiert werden, in denen der Holzboden bei jedem Schritt knarrt, wie es sich für ein altes Museum gehört.
Viele der Arbeiten hat Eliasson für die Berliner Ausstellung und die Standorte außerhalb des Museums bereits zum zweiten Mal aufgestellt. Der „Ice-Pavillon“, der im vergangenen Winter auf dem Gelände des Pfefferberg stand, war schon 1998 am selben Ort mit Eiszapfen übersät. Die Arbeit „Round Rainbow“, die ephemere Regenbogenkurvaturen durch einen prismatisch geschliffenen Ring an die Wände der Black Box wirft, konnte man 2005 in der schwedischen Lunds Konsthall sehen.
Anderes wurde exklusiv für Berlin produziert. Dazu zählt ein Film, der in teilweise immer schneller werdender Schnittfolge Berlin durch eine ungewöhnliche Perspektive und Geräuschkulisse präsentiert: Immer wieder sehen wir, wie der Van, an dessen Seite ein großer Spiegel montiert wurde, vorzugsweise durch die Kreisverkehre der Hauptstadt fährt. Orten wie dem Kottbusser Tor und dem Straußberger Platz werden irritierende Blickwinkel auf die Fassaden der Wohnquartiere, Automassen und U-Bahnhöfe abgerungen. Das Auge muss sich erst langsam daran gewöhnen, was vom Gesehenen gespiegelt, was normalansichtig ist.
Eliassons Arbeiten in Berlin pendeln zwischen Kontrasten. Zwischen Wiederverwertung und Exklusivität. Zwischen Mobilität und Ortsgebundenheit. Sie haschen nach Effekten, wie in der Arbeit „Mikroskop“ im Lichthof des Museums. Durch einen mit Spiegelfolie überzogenen Einbau verwandelt sich der Ort atmosphärisch in einen Kristallpalast aus Glas und Stahl, wie er 1851 zur Weltausstellung vom britischen Architekten Joseph Paxton in London gebaut wurde.
Und sie verlangen nach mehr als nur einem Blick, um den langsamen Erkenntnisprozess, den sie in Gang setzen, zu Ende zu bringen. Man benötigt nämlich ein Weilchen, bis man verstanden hat, dass der Blick aus einem der Museumsfenster kein anderes Gebäude zeigt, sondern die Fassade des roten Backsteinbaus mitsamt unseres eigenen Konterfeis über einen davor aufgestellten Spiegel zurückwirft.
Das sind mit die schönsten Erlebnisse, wenn die Kunstwerke eine Symbiose mit dem historistischen Gebäude eingehen, von der beide profitieren.
Zum Schluss löst sich auch die Sache mit dem weißen Dunst vor dem Eingang auf. Wer gesundheitlich dazu in der Lage ist, muss sich durch einen mit Nebel angefüllten Raum manövrieren. Wer sich um plötzlich aus dem Nichts auftauchende Besucher herum und an Heizungskörpern entlang durch die ungewohnte Situation gekämpft hat, wird durch eine provisorisch aussehende Holztür wieder in die Vorhalle des Martin Gropius Bau ausgespuckt. Back to reality.
Wer sich mit Eliassons Kunst beschäftigt, ist nicht nur ein Zuschauer. Er ist vielmehr ein Teilnehmer. Ein Wahrnehmender. Eliasson lässt den Besucher staunen über die Effekte, die man mit Spiegelfolie und Nebelmaschinen erzeugen kann. Er erfüllt den Besucher mit einer kindlichen Neugierde, die er nie ins Leere laufen lässt. Denn immer legt er die Konstruktion und Funktionsweise seiner Raumwerke und Kunstexperimente offen. Und immer ist der Mensch mit all seinen Sinnen gefordert. Das sind die Voraussetzungen für die komplexen Fragen, die Eliasson an uns stellt: Kann man die Stadt ins Museum holen? Oder die Stadt zu einem Museum machen? Überhaupt: wie kann man innen und außen verbinden? Und wenn ja, wozu?
Olafur Eliasson „Innen Stadt Außen“, kuratiert von Daniel Birnbaum, zu sehen vom 28. April bis 9. August 2010 im Martin-Gropius Bau, Berlin
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